25. September 2020 - Redaktion Providentia

Automatisiertes Fahren: Wie Assistenzsysteme von externer Infrastruktur profitieren können

Mithilfe der Providentia-Infrastruktur und den damit verbundenen zusätzlichen Sensordaten sind Fahrerassistenzsysteme von Providentia++-Partner Valeo in der Lage, weitsichtigere Entscheidungen zu treffen als bisher. Wichtige Herausforderung: Eine präzise Zeitbasis für alle Datenströme. Fragen an Dr. Jens Honer, Senior-Experte für Umfeld-Perzeption, Tracking und Fusion bei Valeo.

Valeo ist von Beginn an bei Providentia dabei. Was wurde bisher aus Valeo-Sicht erreicht?

Aufgrund unserer langjährigen Erfahrung mit Projekten im Automobilbereich haben wir eine sehr formale Herangehensweise an Providentia++ gewählt: In den ersten Monaten haben wir genau analysiert, wie und unter welchen Umständen eine infrastrukturbasierte Umfelderfassung wie Providentia++ unsere fahrzeugeigene Sensorik unterstützen kann. Die daraus resultierenden Use-Cases und Anforderungen sind eine wertvolle Hilfe für die Auslegung des Valeo-Systems in Providentia++, aber auch für die Entwicklung der nächsten Generation von Assistenzsystemen. Ein Beispiel hierfür ist die Verwendung einer präzisen Zeitbasis für alle Datenströme. Hierzu wurde unsere gesamte Signalverarbeitung im Fahrzeug mit einer dedizierten gemeinsamen Uhr synchronisiert, welche sich selbst wiederum zur allgemein verfügbaren GPS-Zeit synchronisieren kann. Mit der am Zeitsystem der am Navigationssatelliten des Global Positioning Systems (GPS) orientierten Zeit als gemeinsame Basis lassen sich auch externe Datenströme, wie etwa von der Infrastruktur-Sensorik des Providentia++-Systems oder anderen Fahrzeugen, exakt in die zeitliche Abfolge der Signalverarbeitung integrieren, ohne zusätzliche Unsicherheiten durch schwankende Kommunikationslaufzeiten aufzubauen. Das im Projekt aufgebaute Valeo-Fahrzeug ist mit modernsten automobilen Sensoren ausgestattet: Mit mehreren Kameras, Radaren sowie Valeo-Scala-Lidaren der zweiten Generation kann die Umgebung exakt abgetastet werden, um eine solide Datenbasis für die Umfelderfassung zu liefern. Weiterhin erlaubt das verbaute IMU/GNSS-System (kurz für: Inertial Measuring Unit/Global Navigation Satellite System) eine exakte Positionierung des Fahrzeugs relativ zur Infrastruktur-Sensorik, und erfüllt somit alle Voraussetzungen für die Verwendung aller zur Verfügung stehenden Daten in der fahrzeugeigenen Algorithmik.

Welche wichtigen Forschungsschritte stehen in Providentia++ noch bevor, bis Valeo sein Fernziel erreicht, ein Interface zum Providentia-System im eigenen Assistenzsystem zu nutzen?

Mit dem abgeschlossenen Fahrzeugaufbau und definierten Anforderungen können wir uns voll auf die Entwicklung der Algorithmik konzentrieren. Besonders geht es hier um die Umfelderfassung unter Berücksichtigung aller Sensor-Modi sowie die nachfolgende Planungs-Algorithmik. Für die Umfelderfassung gilt es, die optimale Modellierung unter Berücksichtigung aller Randbedingungen zu finden, um ein robustes und konsistentes Umfeldmodell aufzubauen. Auf dieser Basis agieren die Planungsalgorithmen, die Verkehrssituationen erkennen, bewerten und sowohl sichere als auch für den Nutzer komfortable Entscheidungen treffen. Diese Informationen müssen dann wieder zurück in das Providentia-System gespeist werden, damit auch andere Verkehrsteilnehmer profitieren können. Der letzte und wahrscheinlich wichtigste Schritt ist die Bewertung der Performance des Systems.

Hat Valeo spezifische Mehrwertdienste vor Augen, die durch Providentia möglich werden?

Die Anwendungsfälle für ein System wie Providentia sind enorm vielfältig und hängen stark von den Rahmenbedingungen wie etwa dem allgemeinen Automatisierungsgrad aller Fahrzeuge ab. Diese Bedingungen sind nicht von einem einzelnen Tier-1-Zulieferer oder sogar OEM zu kontrollieren. Entsprechend versucht Valeo hier die Brücke zwischen aktuellen Fahrerassistenzsystemen (engl.: Advanced Driver Assistance Systems, ADAS) und zukünftigen vollautomatisierten Systemen zu schlagen, indem wir ein System aufbauen, das dem Kunden schon heute, unabhängig vom Automatisierungsgrad der anderen Fahrzeuge einen Komfort- und Sicherheitsgewinn gibt. Dies erreichen wir gerade durch eine Kombination von unserer eigenen Fahrzeugsensorik und der Infrastruktur-Sensorik des Providentia-Systems: Während die hochauflösende Fahrzeugsensorik eine präzise Fahrzeugkontrolle ermöglicht, kann durch die Infrastruktursensorik mit großer Reichweite die Fahrstrategie auf die entsprechenden Verkehrsmuster optimal angepasst werden – etwa auf den Beginn eines Staus. Ein derartiges ADAS kann intelligente und weitsichtige Entscheidungen treffen und somit sowohl zum Komfort als auch zur Sicherheit beitragen.

„Um für ein voll automatisiertes Fahrzeug die gleiche Sicherheit wie ein menschlicher Fahrer zu erzielen, müssen wir Fehlerraten von weniger als 0.000001 pro Kilometer erreichen. Das entspricht etwa einem Fehler alle 1 Million Kilometer.“ (Dr. Jens Honer, Senior-Experte für Umwelt-Perzeption, Tracking und Fusion bei Valeo) 

Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie in dem Projekt?

Bei Valeo setzen wir sehr hohe Standards an die Performance und Sicherheit unserer Systeme. Um für ein voll automatisiertes Fahrzeug die gleiche Sicherheit wie ein menschlicher Fahrer zu erzielen, müssen wir Fehlerraten von weniger als 0.000001 pro Kilometer erreichen. Das entspricht etwa einem Fehler alle 1 Million Kilometer. Dies stellt enorm hohe Anforderungen an die Robustheit der Sensorik und Algorithmik, und entsprechend auch an die Entwickler. Darüber hinaus ist der Nachweis derart kleiner Fehlerraten unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit eine enorm schwierige Aufgabe. Bei all diesen Problemen müssen intelligente und skalierbare Lösungen gefunden werden, welche auch über das Providentia++-Projekt hinaus in zukünftigen Systemen zum Einsatz kommen können.

Welche praktischen Tests wurden vor Ort bereits gemacht und was erwarten Sie sich von der Testfahrt Ihres Testfahrzeugs EGO in Kürze?

Die bisherige Entwicklung erfolgte auf Teilmengen der theoretisch zu Verfügung stehenden Daten. Als nächsten Schritt planen wir, Daten aller Sensoren sowie des Providentia-Systems auf der A9 simultan aufzunehmen, und die entwickelten Konzepte auf alle Daten anzuwenden.

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